In Deutschland bestätigt die aktuelle Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen“, dass die die Anzahl der Übergriffe auf Einsatzkräfte der Feuerwehr und Rettungsdienste seit 2011 nur minimal zurückgegangen ist. Es besteht weiter Handlungsbedarf. Wir haben dazu mit einem der Autoren der Studie, Dipl.-Jur. Marvin Weigert, gesprochen.
Herr Weigert, laut Ihrer Studie betreffen körperliche Übergriffe ca. 15% der Betroffenen ein- bis zweimal im Monat. Betroffen sind nach Ihrer Studie zu 94,3% Einsatzkräfte im Rettungsdienst. Ist das aus Ihrer Sicht zu erklären?
Die Einsatzkräfte im Rettungseinsatz sind in der Regel in Teams von zwei Personen im Fahrzeug. Einsatzkräfte im Brandeinsatz haben hingegen eine größere Mannschaftsstärke, was die Hemmschwelle für Übergriffe deutlich erhöht. Hinzu kommt, dass die Haupttätergruppe nach wie vor Patienten bzw. Angehörige oder Freunde dieser Patienten sind. In Einsätzen der medizinischen Hilfeleistung („Rettungseinsatz“) kommen sich Einsatzkraft und Hilfesuchende besonders nah, was im Brandeinsatz häufig nicht der Fall ist.
Als Lösungsansätze formulieren Sie die Forderung nach mehr Aus- und Fortbildung, um besser auf kritische Konfliktsituationen reagieren zu können. Reicht das aus? Schließlich müssen sich z.B. Sanitäter auch um Verletzte, Erkrankte, Unfallopfer kümmern. Müssen Ambulanzen zukünftig zusätzlich mit einem „Deeskalator“ besetzt sein?
Die zielgerichtete Schulung der Einsatzkräfte in Deeskalationstechniken ist zumindest eine Aus- und Fortbildungsmaßnahme, die der Einschätzung der Befragten zufolge wünschenswert ist. Hier muss insbesondere aber auch auf Deeskalation im Umgang mit bestimmten Personengruppen, z. B. alkoholisierte Personen, eingegangen werden. Ein „Deeskalator“ ist dann nicht notwendig. Darüber hinaus ist eine umfassendere Dokumentation von Übergriffen erforderlich. Auf Basis dieser Datenlage kann dann im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen auf aktuelle Gewaltentwicklungen und ggf. regionale Besonderheiten reagiert werden.
In England hat der Staat Maßnahmen zum Schutz für Rettungskräfte ergriffen. So sind Ambulanzen mit Panic Button und Kamerasystemen ausgestattet, die im Notfall aktiviert werden und Situationen gerichtstauglich aufnehmen und speichern. Was halten Sie von diesen und/oder ähnlichen Maßnahmen?
Systeme, die es betroffenen Einsatzkräften ermöglichen, einen verschlüsselten Notruf abzusetzen, gibt es in Deutschland bereits. Kamerasysteme können im Falle eines Strafverfahrens möglicherweise zur Beweislage beitragen, allerdings hat unsere Studie gezeigt, dass die Mehrzahl der Übergriffe nicht einmal angezeigt wurde, solche Beweismittel also gar nicht zum Tragen kämen. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass zahlreiche Übergriffe von den Betroffenen als Bagatelle eingestuft wurden. Der Fokus sollte zunächst auf der besseren Dokumentation und der Prävention des Problems liegen.
Marvin Weigert
Jurist Marvin Weigert ist seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft von Herrn Prof. Dr. Thomas Feltes an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Seit Anfang 2017 widmet er sich dem Thema „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ und hat in diesem Zuge das Forschungsprojekt „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in NRW“ durchgeführt.
Die Studie
Die Studie zum Download: www.kriminologie.ruhr-uni-bochum.de/images/pdf/Abschlussbericht_Gewalt_gegen_Einsatzkraefte.pdf
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