Herman Schlepers kümmert sich intensiv um seine RAV-Einheiten im größten Versorgungsgebiet der Niederlande, in Midden- und West-Brabant und in Brabant-Noord. RAV steht für „regionale Ambulancevoorziening“ und heißt auf Deutsch „regionale Ambulanzversorgung“. Davon gibt es in Holland 25.
Herman Schlepers ist einer von zwei Managern der beiden oben genannten RAV und führt knapp 600 Mitarbeiter in seiner Einheit. An einem Nachmittag im März treffen wir ihn in s’-Hertogenbosch zu einem Gespräch über Anforderungen, Ausbildung und Zukunft.
Am Rand der holländischen Provinzhauptstadt s’-Hertogenbosch mit seinen ca. 150.000 Einwohnern empfängt uns Herman Schlepers in sehr freundlichen und modernen Büroräumen. Schnell gewinnt man den Eindruck, der Mann weiß, wovon er spricht. Souverän, ruhig und geduldig erläutert er die Anforderungen, unter denen seine RAV als zwei von 25 in den Niederlanden arbeiten. Grundsätzlich ist die Gesundheitsversorgung wie auch die Notfallversorgung staatlich organisiert. Der Staat gibt die Rahmenbedingungen vor, unter denen die Organisationen zu arbeiten haben. Innerhalb dieser Rahmen allerdings können sich die jeweiligen RAV sehr eigenständig bewegen – wenn sie in den Kostenrahmen bleiben. Die wiederum werden von den Krankenkassen bestimmt. Somit ist Schlepers einmal im Jahr aufgefordert, seine Budgets für das Folgejahr zu entwickeln und zu verantworten. Die Krankenkassen geben allerdings auch Leistungskataloge vor, die zu 95 % eingehalten werden müssen. Klappt das nicht, drohen Budget-Kürzungen. Schlepers erläutert beispielhaft den Leistungskatalog für Einsatzzeiten: So müssen im Akutfall Ambulanzfahrzeuge innerhalb von 15 Minuten beim Patienten sein. In weniger dringenden Fällen sind 30 Minuten das Limit. Krankentransporte werden frei verplant und mit den Patienten zeitlich abgestimmt.
Die Vorgaben der Leistungskataloge haben natürlich Einfluss auf die Organisation der RAV. Um die beschriebenen Zeiten einhalten zu können, arbeiten die RAV mit Flowing-Systemen: Sobald eine der 12 Hauptwachen oder der 10 Stationen vom RAV Brabant ein Fahrzeug in den Einsatz schickt, werden umliegende Einheiten abgefragt, um erneut ein Fahrzeug in die alarmierte Station zu entsenden – für die mögliche nächste Fahrt und zur Einhaltung der Vorgaben des Leistungskatalogs. 15 Minuten in einem dichtbesiedelten Land wie den Niederlanden einzuhalten, erscheint nicht leicht. Doch Herman Schlepers verweist auf ein Gesamtkonzept, das im Zusammenspiel die Zielerreichung ermöglicht. Schon bei Annahme des Notrufs werden alle notwendigen Informationen mithilfe der international bewährten ProQA-Software (Fragen und Antworten-Software) vom Mitarbeiter der Notrufzentrale aufgenommen. Das Gesprächsprotokoll geht in der Einsatzzentrale ein, die Daten werden in das GMS (eine Applikation für Leitstellen) übernommen. Das angeschlossene Navigationssystem berechnet daraufhin die Route, auf der alle benötigten Ampeln auf Grün geschaltet werden, damit die Ambulanz ohne Verzögerung zum Einsatzort gelangt. Die freie Fahrt für Ambulanzen ist in den gesamten Niederlanden gängige Praxis, nicht nur in Brabant Midden-West-Noord.
Auf der Fahrt studiert der Notfallsanitäter auf seinem iPad die Patientendaten und bereitet sich auf die mögliche Behandlung vor. Am Einsatzort entscheidet dieser gut ausgebildete Mitarbeiter, wie und wo die mögliche Weiterbehandlung erfolgt. Geht’s in ein Krankenhaus, informiert er die Klinik und verschickt per Knopfdruck die von ihm aktualisierten Patientendaten. Bei Herzpatienten erhält der kontaktierte Kardiologe auch die im Fahrzeug erstellten EKG-Daten, um weitere Maßnahmen zu planen. Selbstverständlich ist auch auf der Fahrt ins Krankenhaus die grüne Welle für die Ambulanz freigeschaltet. Herman Schlepers weist darauf hin, dass die 15 Minuten-Anforderung nicht nur für ihn und sein Team ein Leistungsanreiz seien, sondern für die Patienten auch von lebenserhaltender Wichtigkeit.
Wer bei der RAV arbeitet, arbeitet dort für immer, so lautet ein Spruch, den Herman Schlepers zitiert. Doch vor dem Eintritt in die RAV muss die hochgesteckte Messlatte der Qualifikation überwunden werden. Denn die Anforderungen an die Einsatzkräfte sind hoch, sehr hoch sogar. Schließlich geht es hier um Leben und Tod. Die Qualifikation für den Einsatz im Ambulanzdienst ist ein vierjähriges Studium (Bachelor) als Krankenpfleger mit einer anschließenden zweijährigen Beschäftigung auf einer Intensivstation. Nach bestandener Bewerbung muss jeder neue Mitarbeiter noch ein Jahr eine von der RAV finanzierte Ausbildung absolvieren. Wird er oder sie von allen internen Gutachtern als für geeignet bewertet, wird er/sie übernommen und darf erst danach eigenständig im Einsatz agieren. Viele Notfallsanitäter kommen erst mit Ende dreißig, Anfang vierzig zum RAV. Teils, um etwas Neues zu machen, teils, weil sie die Eigenständigkeit der Arbeit, die höhere Eigenverantwortung und die Abwechslung reizt. In Holland ist es üblich, dass kein Notarzt in den Einsatz fährt. Allerdings wird in Extremfällen ein Hubschrauber mit Traumaarzt angefordert.
Die Notfallsanitäter dürfen und müssen Arzttätigkeiten ausführen, beispielsweise Infusionen legen oder Dekompressionsnadeln im Thorax setzen. „Wer bei uns arbeitet, muss gut mit Menschen – ob Kollegen oder Patienten – kommunizieren können und den Stress lieben“ erklärt Schlepers lächelnd. Und die, die das können, bleiben häufig bis zur Pension. Man dürfe nicht vergessen, so Schlepers, dass auch die gesellschaftliche Anerkennung des Berufs sehr hoch sei. Die Fahrer müssen ebenfalls sehr gut ausgebildet sein. In der Grundqualifikation reicht ein Realschulabschluss und ein Führerschein für Personentransporte. Die eigentliche Ausbildung auf den Job allerdings erhalten sie bei der RAV. Hier werden sie als Krankenwagenfahrer ausgebildet. Allein das Fahren mit Blaulicht will ein Jahr lang gelernt sein. Und dann folgt noch die Ausbildung als Notfallassistent. Denn jede Ambulanz ist maximal mit nur zwei Personen besetzt: dem Fahrer und dem Notfallsanitäter. Für die RAV zählt in erster Linie die Reife und das Verhalten im Straßenverkehr, so Schlepers. Es werde auch kein Fahrer unter 25 Jahren eingestellt. Schließlich sei es wissenschaftlich erwiesen, dass junge Menschen bis zweiundzwanzig Jahren viel zu hohe Risiken eingehen und ihre Fähigkeiten überschätzen.
Sorgen bereitet Schlepers die zukünftige Besetzung seiner Einsatzkräfte, die über 500 Mitarbeiter beträgt. Auch in den Niederlanden nimmt die Konzentration der Krankenhauslandschaft zu. Genauso wie die Zahl der Krankentransporte, weil Altenheime fehlen und die Senioren vermehrt die 112 anrufen. In internen Analysegruppen wird deshalb kontinuierlich nach Lösungen gesucht. Ein Erfolg versprechender Ansatz ist es, die Rekrutierung schon bei den Krankenpflegern in Ausbildung einsetzen zu lassen. Zukünftige Krankenpfleger werden auf die Berufschancen bei der RAV aufmerksam gemacht. Man bietet ihnen an, nach ihrer Ausbildung direkt zur RAV zu kommen. Hier können sie nach weiteren zwei Jahren Fortbildung, deren Kosten die RAV übernimmt, in die Direktanstellung kommen. Man setze bewusst auf den guten Ruf der RAV, so Schlepers. Ein weiterer Ansatz ist es, Schulabgängern, in diesem Fall Gymnasiasten, eine Ausbildung bei der RAV anzubieten. Während der zunächst zu absolvierenden Krankenpflegerausbildung erhalten sie die Chance, berufsbegleitende Praktika bei der RAV zu absolvieren. Hierbei lernen sich beide Parteien bereits gut kennen. Nach der dreijährigen Ausbildung folgt eine anschließende einjährige Zusatzausbildung, die die RAV finanziert. Schlepers ist wichtig, dass die Qualität der Ausbildung immer top bleibt. Aus diesem Grund ist die interne Qualitätskontrolle durch erfahrene Supervisoren sehr wichtig. Die Auszubildenden werden von verschiedenen Seiten unter diversen Gesichtspunkten beurteilt. Gemeinsam wird dann die Übernahme entschieden. Darüber hinaus ist für die Zukunft nicht nur der RAV, sondern auch des Gesundheitswesens wichtig, dass die allgemeinärztliche Versorgung aufrechterhalten werde. In den Niederlanden sei es z.B. so, dass immer weniger Hausärzte Spät- und Nachtdienste übernehmen Aus diesem Grund habe die RAV ein Konzept entwickelt, das man den eigenen „Senior“-Notfallsanitätern anbietet, die Lust auf einen Aufgabenwechsel haben. Ziel ist es, sie als fast gleichwertigen Notdienstersatz für Hausärzte einzusetzen. Diesen Mitarbeitern wird eine Zusatzausbildung mit Masterabschluss angeboten, die von der RAV übernommen wird. Mit diesem Abschluss können sie dann First Responder-Aufgaben übernehmen und in Abstimmung mit einem Arzt in der Leitstelle Maßnahmen durchführen oder einleiten. Schlepers ist davon überzeugt, dass man mit solchen Angeboten auch die RAV attraktiver und vielfältiger gestaltet. Schließlich verfüge man ja bereits über die komplette Infrastruktur und die ausgebildeten Mitarbeiter, um die eigenen Services im Gesundheitswesen Schritt für Schritt auszubauen. Die konkrete Ausgestaltung zukünftiger Aufgaben der RAV Brabant-Midden-West-Noord zeigt, dass man auch in den engen Rahmen von Leistungskatalogen und Budgets kreativ die Zukunft gestalten kann.
RAV Brabant in Zahlen:
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