Pilotprojekt Gemeindenotfallsanitäter

Ein leichtes Schwindelgefühl beim Aufstehen? Ein heftiger Hustenanfall nach einer überstanden geglaubten Bronchitis? Diffuse Symptome gegoogelt und panisch geworden? Viele Menschen wählen im Zweifelsfall lieber gleich den Notruf. Häufig können Betroffene selbst nicht einschätzen, ob sie auch getrost bis zur montäglichen Sprechstunde ihres Hausarztes warten könnten. In anderen Fällen wollen überforderte Angehörige oder besorgte Dritte durch die Wahl des Notrufs – im wahrsten Sinne des Wortes – lieber auf Nummer Sicher gehen. Gründe dafür gibt es viele und auch wenn die Häufung solcher Anrufe eine gewisse Steigerung von Anspruchsdenken und Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nahelegt, kann wohl davon ausgegangen werden, dass niemand aus Spaß oder Langeweile ein Rettungsteam anrücken lässt. Viel eher sind steigende Einsatzzahlen unter anderem dem demografischen Wandel sowie der Reduktion von Krankenhäusern und Notaufnahmen, insbesondere im ländlichen Raum, geschuldet. Wenn das nächste Krankenhaus zu weit entfernt für eine Taxifahrt erscheint, wird eben schneller mal der Rettungswagen gerufen.


Das Phänomen ist nicht neu

Experten gehen inzwischen sogar davon aus, dass mit einer jährlichen Steigerung der Einsätze im Rettungsdienst um 5 % zu rechnen ist. Die meisten Einsätze entfallen dabei auf allgemeine Hilfeersuche, die nicht zwingend einen vollausgerüsteten Rettungswagen erfordern. In Kombination mit dem ohnehin schon problematischen Fachkräftemangel kann dieses Spannungsverhältnis im schlimmsten Fall dazu führen, dass wirkliche Notfälle nicht rechtzeitig behandelt werden können, weil Fahrzeug und Besatzung gerade für eine „Taxifahrt“ bestellt wurden.

Das Phänomen unnötiger Rettungseinsätze ist übrigens weder neu noch national. Auch in Finnland, England und den Vereinigten Staaten beobachten Studien ein steigendes Einsatzaufkommen im Bereich der nicht lebensbedrohlichen Einsätze, wie Frank Flake in dem „Konzept Gemeindenotfallsanitäter/in“ ausführlich belegt. Doch Frank Flake, Bereichsleiter der Notfallvorsorge Bezirk Oldenburg der Malteser Hilfsdienst gGmbH, hat nicht nur Informationen gesammelt und die Problematik zusammengefasst, sondern gibt gemeinsam mit allen Projektbeteiligten aus der Stadt Oldenburg und den Landkreisen Vechta, Cloppenburg und Ammerland vor allem eine mögliche Antwort auf die zunehmenden Einsatzzahlen: Und die lautet Gemeindenotfallsanitäter/innen.


Von der Theorie zur Praxis

Dieses speziell geschulte Rettungspersonal könnte ohne Einsatz eines Rettungswagens Patientinnen und Patienten, die ohne akute Notlage den Notruf gewählt haben, versorgen. Ohne Rettungswagen heißt dabei natürlich nicht ohne fahrbaren Untersatz und Ausrüstung. Gemeindenotfallsanitäter/innen sind mit PKW oder Kleintransportern, vergleichbar einem NEF mit identischer Ausstattung unterwegs. Das Konzept wird seit Beginn 2019 in einem Pilotprojekt in Teilgebieten der Landkreise Ammerland, Cloppenburg, Vechta und der gesamten Stadt Oldenburg im Echtbetrieb getestet. Wir trafen Frank Flake zum Gespräch über Hintergründe und erste Ergebnisse des Projekts.


Eine Aufwertung des Berufs ist wünschenswert.

FRANK FLAKE, BEREICHSLEITER NOTFALLVORSORGE BEZIRK OLDENBURG MALTESER HILFSDIENST GGMBH, IM INTERVIEW ÜBER DAS PILOTPROJEKT GEMEINDENOTFALLSANITÄTER/IN.

Seit Beginn des Jahres 2019 sind Gemeindenotfallsanitäter/innen im Einsatz. Kann man nach den ersten Monaten schon Tendenzen ablesen und erste Erfahrungen berichten?

Ja, das kann man, und die ersten Erfahrungen sind durchweg positiv. In der Stadt Oldenburg steigen die Einsatzzahlen kontinuierlich und liegen derzeit bei 5-6 Einsätzen in 24 Stunden. Damit ist bereits eine spürbare Entlastung des Rettungsdienstes gegeben.

Wie lange hat es von der ersten Idee bis zur Umsetzung Anfang des Jahres gedauert und welche Hebel mussten in Bewegung gesetzt werden?

Ca. 2,5 Jahre hat die Entwicklung und die Überzeugungsarbeit gedauert. Wir sind Ende 2015 mit den ersten Ideen gestartet. Sowohl das Innenministerium als auch die Kostenträger waren schnell überzeugt. Wir mussten dann gemeinsam die Hürde der Finanzierung überwinden. Dann musste ein Curriculum geschrieben werden. Natürlich haben wir auch geschaut was andere Länder bereits machen. Wir haben in der Arbeitsgruppe monatlich getagt und Sachstände abgeglichen. 

Hatten Sie gleich zu Anfang schon Mitstreiter oder mussten Sie große Überzeugungsarbeit leisten?

Wir hatten gleich zu Beginn Mitstreiter. Bei den Rettungsdienst-Trägern ist die Idee umgehend auf fruchtbaren Boden gefallen. 

Inwiefern haben Sie Ihre persönlichen Erfahrungen aus dem Rettungswesen beeinflusst?

Diese haben mich sehr beeinflusst. Mein Bestreben ist es bereits seit Jahren, den Rettungsdienst zu optimieren und natürlich auch berufspolitisch die Stellung des Rettungsfachpersonals zu verbessern. Meiner Erfahrung nach muss man Probleme angehen. Machen ist hier besser als ständig darüber zu philosophieren wie schlecht doch alles ist. Das bringt uns letztlich nicht weiter und entspricht auch nicht der Wahrheit. Die Entwicklung wird man nicht bremsen können. Wir können auch die Menschen nicht ändern, aber wir können Lösungen suchen. Dabei ist aus meiner Sicht alles erlaubt. Man muss Dinge ausprobieren, um am Ende die beste Lösung zu finden.

Wurden Sie mit der Befürchtung konfrontiert, dass die Gemeindenotfallsanitäter/innen auf lange Sicht Bürger dazu animieren, noch schneller wegen Lappalien den Notruf zu wählen, da die Hemmschwelle noch mehr abgebaut wird, wenn man weiß, dass kein ganzes Rettungsteam ausrückt?

Damit wurden wir konfrontiert. Uns kann man aber ja nicht direkt alarmieren. Als Komponente der Notfallrettung (112) muss man das über die Leitstelle machen und hier wird nicht einfach der Gemeindenotfallsanitäter alarmiert. Wenn es sich um einen Einsatz für den ärztlichen Bereitschaftsdienst handelt wird dieser auch dorthin weitergegeben. Nur wenn alle anderen Hilfen versagen oder nicht erreichbar sind und es sich um einen niederschwelligen Rettungsdiensteinsatz handelt, kommt der Gemeindenotfallsanitäter. Insofern ist die Gefahr klein. Wir können das ja auch beobachten und werden dann gegensteuern.

Könnte sich aus dem Gemeindenotfallsanitäter eine eigene Berufsgruppe, bzw. eine Art parallel existierender „Notdienst“ für nicht lebensbedrohliche Fälle entwickeln?

Ja, das ist unsere Hoffnung. Eine Aufwertung des Berufs und ein zusätzliches Rettungsmittel. Das würde aus unserer Sicht am Ende allen helfen.

Das Projekt wird während der Erprobungsphase durch die Universitäten Oldenburg und
Maastricht, sowie das Klinikum Oldenburg wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Auf welche Weise wird das praktisch umgesetzt?


Es gibt wissenschaftliche und medizinische Protokolle, die ausgewertet werden. Ebenso werden Interviews geführt. Wir treffen uns alle einmal pro Monat und sprechen über die Ergebnisse und die notwendigen nächsten Schritte.

War für Sie von Anfang an klar, dass Gemeindenotfallsanitäter mit WAS Fahrzeugen unterwegs sein würden und wie diese ausgestattet sein sollten?

Als langjähriger Kunde war das in meinem Fall klar. Hier habe ich den Vorteil, dass man bei WAS schon weiß, auf was ich Wert lege. Insofern war das für mich alternativlos. Darüber hinaus rechnet es sich, ein und dasselbe Ausbaukonzept für alle Fahrzeuge umzusetzen. Das macht es den Einsatzkräften leichter, sich im Fahrzeug zurechtzufinden und die Fahrzeuge des Gemeindenotfallsanitäters können übrigens auch ganz normal im Regelrettungsdienst eingesetzt werden.

Das Projekt im Überblick

Ausgangssituation:
Bundesweit haben sich die Kosten für Rettungswageneinsätze in den vergangenen zehn Jahren auf 2,1 Milliarden Euro verdoppelt

Ziele:
Notfalldienste entlasten, unnötige Rettungsfahrten vermeiden, überfüllte Notaufnahmen in Kliniken verhindern und Kosten senken

Zeitraum:
Zwei Jahre

Region:
26 Gemeindenotfallsanitäter/innen sind seit Jahresbeginn an vier Standorten in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg und Ammerland sowie in der Stadt Oldenburg im Einsatz

Finanzierung:
Krankenkassen

Personal:
Ausgebildete Notfallsanitäter/innen mit dreimonatiger Zusatzausbildung


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